PZ-Interview mit Olympiasieger Nils Schumann über seinen Besuch in der ARCUS Sportklinik Pforzheim, seinen Leidensweg und die Moral von Athleten

pz-interview-nils-schumann_31-07-2013Das Gespräch führte Simon Walter, Sportredakteur der Pforzheimer Zeitung

Fast jeder Sportfreund kennt sie, die Bilder vom sensationellen Olympiasieg des Nils Schumann. 22 war er damals, im Jahr 2000 in Sydney. Weitaus weniger bekannt ist dagegen, was danach schief lief. Nur bruchstückhaft erinnert man sich an die Folgejahre bis zu seinem Karriereende 2009: Schwere Verletzungen hier, Doping-Gerüchte da. Just darüber sprach der letzte deutsche Lauf-Olympiasieger im PZ-Gespräch genauso wie über die Gründe, die ihn nun in die Pforzheimer Arcus-Sportklinik führten.

PZ: Herr Schumann, der Pforzheimer Citylauf ist erst am 11.Oktober, verletzt sind Sie auch nicht. Was machen Sie denn dann in Pforzheim?
Nils Schumann: Ich wurde bei dem .My Dream.-Projekt des Touristikunternehmens Robinson von Ruth Schädlbauer als Lauftrainer ersteigert. Sie bereite ich jetzt auf den Mallorca-Halbmarathon am 20. Oktober vor. Der Erlös von 2260 Euro kommt dem sportlichsten Kindergarten Erfurts zugute.

Und dafür ist ein Besuch in Pforzheim notwendig?
Ja. In der Arcus-Klinik haben wir nun einen Laufbandtest und eine Leistungsdiagnostik gemacht. Anhand dieser werde ich die Trainingsplanung der nächsten zwölf Wochen ausrichten. Zudem hat Dr. Walter Schüler gesundheitliche Tests gemacht.

Als Lauf-Mekka gilt Pforzheim trotz seines Citylaufs ja nicht gerade. Sind Sie trotzdem schon ein anderes Mal hier gewesen?
Ich war vor einigen Wochen zu einem Vorbereitungsgespräch in der Arcus-Klinik, vorher war ich aber noch nie in Pforzheim. Aber es ist natürlich schön, das wir der Ersteigererin eine solch professionelle Betreuung zur Verfügung stellen konnten.

Von Pforzheim zu Sydney: In Australien wurden sie im Jahr 2000 800-Meter-Olympiasieger. Was lief danach schief?
Der Leistungssport hat immer mehrere Facetten. Ich hatte das Glück, am Anfang meiner Karriere mit sehr jungen Jahren tolle Erfolge zu feiern. Ich bin stolz darauf, dass ich fünf sehr gute Jahre hatte, in denen ich in jedem Finale stand. Doch nach dem Olympiasieg hatte ich dann eine Zeit der Orientierungslosigkeit.

Was passierte zu dieser Zeit?
Ich hatte gedacht, das geht jetzt die nächsten fünf oder zehn Jahre so fort. Das war ein Irrtum. Ich hatte dann, vielleicht auch resultierend aus der Orientierungslosigkeit, gesundheitliche Probleme, hatte drei Achillessehnen-Operationen und eine Leisten-OP. Das waren nach den fünf tollen Jahren fünf schlechte Jahre, in denen ich die meiste Zeit in Reha-Kliniken verbracht habe. Aber das ist auch ein Charakterzug des Leistungssports, dass man immer ein bisschen auf Messers Schneide wandelt. Das gehört leider auch dazu.

Sie standen damals kurz vor der Sport-Invalidität…
Ja, man hatte mir nach der großen Achillessehnen-OP eine Chance von 50:50 gegeben, dass das wieder wird. Das hat mich in sofern ein bisschen zerbrochen, als dass ich den ungestümen Glauben an mich selbst ein bisschen verloren hatte. Doch heute bin ich froh, dass ich mit meinen Söhnen Fußball spielen kann und keine Spätfolgen habe. Mit 32 habe ich entschieden, den Leistungssport an den Nagel zu hängen. Das war nicht die schlechteste Entscheidung. Sport ist schön und gut, aber es gibt noch mehr als das.

Zum Beispiel die Familie. Würden Sie Ihren Söhnen raten, mit Leistungssport zu beginnen?
Ich glaube nicht, dass Hochleistungssport immer das erstrebenswerte Ziel ist. Zumal die deutsche Laufszene international ja nicht mehr sehr präsent ist. Dorthin zu kommen, wo ich war, das ist kein leichter Weg. Ich hatte das Glück, dass ich sehr früh sehr erfolgreich war, weil ich dann dadurch mein Geld verdient habe. Wenn man seinen Leistungszenit aber erst mit 25, 26 Jahren hat, lebt man in der Zwischenzeit mehr von Almosen als von allem anderen. Ich würde meinen Söhnen empfehlen: Macht den Sport, soweit Ihr Lust habt. Aber vernachlässigt Eure berufliche Ausbildung nicht, da muss man realistisch sein.

Sie sprechen von Almosen. Müsste das Sportfördersystem in Deutschland verändert werden, um wieder Lauf-Olympiasieger hervorzubringen?
Es gibt sicher schlechtere Systeme, aber die Aufgabe ist eben eine schwierige. Wenn ich sehe, dass selbst Spitzenathleten um Fahrkosten verhandeln müssen, verstehe ich schon, wenn jemand lieber studiert und nur nebenbei Sport macht. Und das .nebenbei. reicht nicht aus. Wir treten gegen Spitzenläufer an, die nichts kennen außer Training, Schlafen und Essen. Hinzu kommt, dass die Doping-Diskussionen im Radsport und bei den Sprintern nicht gerade geholfen haben, Sponsoren heranzuziehen. Bei uns war ich wahrscheinlich einer der letzten Vollprofis. Und die Akzeptanz des Hochleistungssports ist in der Öffentlichkeit nicht mehr so, wie sie noch vor 20 Jahren war.

Das hängt auch mit den Doping-Fällen zusammen. Hat es Sie überrascht, dass Sprinter wie Tyson Gay und Asafa Powell positiv getestet wurden?
Viele Menschen haben nicht die höchsten moralischen Werte. Und genauso wie Steuerbetrug immer irgendwie zu einem Steuersystem dazugehören wird, wird auch Doping immer eine Seite des Sports sein. Diese Illusion, zu denken, alle Sportler treten mit selben Voraussetzungen an, die ist nicht real. Viele Sportler werden erwischt, in sofern funktioniert dieses Kontrollsystem. Aber es hat eben einen Nachteil: Die Glaubwürdigkeit wird massiv beeinträchtig. Wenn man hört, dass von den letzten zehn Weltrekordhaltern neun des Dopings überführt wurden und nur Usain Bolt, der Schnellste, nicht, dann ist das schon traurig.

Sind Leistungen wie die eines Usain Bolts denn ohne illegale Hilfsmittel überhaupt möglich?
Ich bin kein Sprinter gewesen. Bei Olympia 2012 lief David Rudisha im 800-Meter-Lauf auch einen neuen Weltrekord. Die Zeit (1:40,91Minuten, Anm. d. Red.) hätte ich nicht laufen können, das kann ich sagen. Aber ich möchte trotzdem nicht den Glauben verlieren, dass es mit einem großen Talent noch ein Stück besser geht. Ich bin nicht der, der sagt .alle die besser sind als ich, haben gedopt.. So kurz möchte ich nicht denken.

2006 fiel in der Doping-Diskussion auch Ihr Name: Es gab ein Überprüfungsverfahren des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). Damals war der Trainer Thomas Springstein, der sie für einige Monate gecoacht hatte, wegen der Weitergabe von Dopingmitteln verurteilt worden. Das Verfahren gegen Sie wurde eingestellt…
Ich hatte das Pech, dass ich 2003 bei Springstein trainiert habe, der im Jahr vorher vom DLV zum Trainer des Jahres gekürt worden war. In Abstimmung mit dem DLV bin ich zu ihm gegangen, weil alle gedacht haben, er könne mich voranbringen. Zehn Monate später hat sich dann sein wahres Gesicht gezeigt, da habe ich mich dann klar von ihm distanziert. Zu der Zeit war die große Achillessehnen-OP, daher war ich da eh nur in der Reha. Daher hatte ich da nie Kontakt zu Dopingmitteln und er hat es mir auch nie angeboten.


Nils Schumann

IMG_6162Vier Jahre nach seinem Karriereende lebt Nils Schumann heute wieder in Erfurt. Dort hat er die Agentur prana sports gmbh, wo er als Personal-Trainer mit A-Lizenz arbeitet. Als persönlicher Trainer bereitet er nun auch Ruth Schädlbauer auf den Mallorca-Marathon vor. Dies hatte die Münchnerin ersteigert. Große Erfolge feierte Schumann schon vor seinem Olympiasieg über die 800Meter im Jahr 2000 mit 22Jahren: Mit 19 war der heute 35-Jährige Hallen-Europameister, mit 20 Freiluft-Europameister. sw

 

Dieses Interview ist am 31. Juli 2013 in der Pforzheimer Zeitung erschienen.

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