Schaftfreie Schulterprothese
Aktueller Stand einer neuen Entwicklung
Über viele Jahrzehnte war der schaftverankerte Humeruskopfersatz das Standardimplantat zur Versorgung von symptomatischen primären und posttraumatischen Omarthrosen. Insbesondere der zementierte Humeruskopfersatz weist auch in Langzeitbeobachtungen von größeren Kollektiven über 10 – 20 Jahre sehr niedrige Komplikationsraten auf.
Die Revisionsraten liegen teilweise unter 1 %. Durch die Entwicklung modularer Systeme wurde nicht nur die anatomische Wiederherstellung der individuellen Kopfanatomie möglich, sondern zumindest bei einem Teil der Implantate ist auch der Systemwechsel zum inversen Implantat problemlos, ohne den oft mühsamen Ausbau des Primärschaftes. Somit schienen zu Beginn der vergangenen Dekade die Probleme des Humeruskopfersatzes gut gelöst. Das Zentrum der Diskussionen und Entwicklungen fokussierte sich zunächst auf den Glenoidersatz, der nach wie vor als Schwachpunkt der Schulterendoprothetik angesehen wird sowie auf modulare Implantate zum Wechsel auf das inverse System ohne Schaftausbau. Unterbrochen wurde diese Entwicklung von zwei Herstellern, die 2004 bzw. 2005 schaftfreie Implantate zum Humeruskopfersatz einführten. Ausschlaggebend für diese Entwicklung war einerseits die Überlegung, dass möglicherweise in vielen Fällen eine Schaftverankerung nicht zwingend zur stabilen Implantatfixation notwendig ist. Andererseits zeigten sich bei posttraumatischen Arthrosen und Kopfnekrosen mit erheblichen Fehlstellungen des Kopfes und der Tubercula die Grenzen auch der aktuellen Schulterprothesenmodelle, die eine kongruente Abdeckung der Kopfresektionsebene in vielen Fällen nicht erlaubten. Als alternative schaftunabhängige Versorgung wurde häufig der Oberflächenersatz verwendet – mit den Problemen der schwierigen Implantatplatzierungund Glenoidversorgung. Als wesentliche Vorteile des schaftfreien Kopfersatzes wurden die knochensparende Versorgung, schaftunabhängige Kopfpositionierung, Reduktion des Risikos für periprothetische Frakturen, geringerer Blutverlust, kürzere Operationszeiten und eine einfachere Operationstechnik postuliert. Der Glenoidersatz ist genauso wie bei den Schaftimplantaten möglich.
Unterschiedliche Vor- und Nachteile
Aktuell stehen von fünf Herstellern schaftfreie Humeruskopfprothesen zur Implantation zur Verfügung. Markteinführung des ersten Implantates war 2004, die jüngste Entwicklung stammt aus dem Jahr 2012. Insgesamt wurden seit 2004 knapp 10.000 schaftfreie Implantate eingesetzt. Man kann zwei unterschiedliche Fixationssysteme der metaphysären Komponente unterscheiden: Eine Impaktion mit mechanischer Verklemmung der Finnen in der Metaphyse wird von vier Herstellern favorisiert. Eine Fixation über eine Hohlschraube wurde von einem Hersteller entwickelt. Beide Fixationsprinzipien haben unterschiedliche Vor- und Nachteile. Die Hohlschraube erreicht die optimale Fixation im sklerotischen Knochen, wie er häufig bei posttraumatischen Zuständen anzutreffen ist. Die Impaktion eignet sich besonders gut im weichen Knochen. In diesen Fällen verbessert häufig das zusätzliche Einpressen von Spongiosa aus dem Kopfresektat in die Metaphyse die Stabilität des Implantates. Beim Vergleich der verschiedenen Implantate zeigen sich unterschiedliche Vorzüge hinsichtlich der Revisionssituation im Hinblick auf den sekundären Zugang zum Glenoid und den Zugang zur metaphysären Komponente. Eine eindeutige Überlegenheit einer Implantatgruppe lässt sich bei den noch geringen Fallzahlen und kurzen Beobachtungszeiträumen derzeit nicht erkennen. Im sklerotischen Knochen erscheint die Hohlschraubenverankerung jedoch vorteilhaft, bei osteoporotischem Knochen und Defektsituationen eher ein Impaktionssystem. Auch nach vollständiger radiologischer Diagnostik kann sich intraoperativ herausstellen, dass eine ausreichende Stabilität mit dem schaftfreien Implantat nicht erreicht werden kann. Auch können bei der Kopfresektion oder bei der Implantatfixation Probleme auftreten, die intraoperativ zu einem Knochendefekt führen. Aus Sicherheitsgründen sollte bei schaftfreien Implantaten immer ein Schaftsystem stand by verfügbar sein. Eine Zementierung des schaftfreien Implantates sollte nicht erfolgen.
Weitere Untersuchungen
Aufgrund der noch jungen Entwicklung liegen aussagekräftige 10-Jahresergebnisse von größeren Fallzahlen schaftfreier Schulterprothesen noch nicht vor und sind auch erst im nächsten Jahrzehnt zu erwarten. Die ersten Kongressberichte mit meist kurzen Nachuntersuchungszeiträumen zeigen für das klinische Ergebnis vergleichbare Resultate zu den Schaftimplantaten. Ob diese auch längerfristig zuverlässig Bestand haben, müssen die noch ausstehenden Nachuntersuchungen nachweisen. Systembedingte Probleme der schaftfreien Verankerung sind bislang nicht bekannt. Objektive radiologische Daten hinsichtlich Knochendefekt und Knochenqualität, bei denen die Grenzen der noch möglichen stabilen Verankerungen der verschiedenen schaftfreien Implantate liegen, existieren aktuell nicht. Bislang sind die Indikationen abhängig von der subjektiven individuellen Erfahrung und Einschätzung des Operateurs. Die Herausarbeitung objektiver Daten, bis zu welcher Knochendichte und bis zu welchem Ausmaß an Knochendefekt noch eine stabile Verankerung schaftfrei möglich ist, wäre wünschenswert und sollte Bestandteil der Nachuntersuchungen sein. Ob sich die schaftfreien Implantate dauerhaft auf breiter Front durchsetzen werden, wird u.a. von diesen Resultaten abhängen.
Fazit
Die bisher vorliegenden kurzfristigen Ergebnisse und Erfahrungen sind ermutigend. Die Geschichte der Schulterendoprothetik weist allerdings bereits einige Fehlentwicklungen auf, sodass wir gut beraten sind, die weiteren Resultate und Entwicklung der schaftfreien Humeruskopimplantate zunächst kritisch zu verfolgen, bevor wir uns ein abschließendes Urteil erlauben.
Literatur beim Autor